Saint-Michel de Cuxa ist ein außergewöhnliches Kunstdenkmal, an dem man den Übergang von Präromanik zu Romanik innerhalb einer Generation verfolgen kann.
Von weitem kann man sie Silhouette des schönen, vierstöckigen Kirchturms aus dem 11. Jahrhundert bewundern. Seine Lombardes genannten Bogenfriese und der Rhythmus seiner Durchbrechungen sind charakteristisch für die frühe Romanik. Man findet sie an norditalienischen Bauten der gleichen Epoche wieder, was auf gegenseitige Beeinflussung der beiden Gegenden schließen lässt.
Heutzutage beginnt die Besichtigung von Cuxa in der Krypta. Geheimnisvoll wie eine Grotte, lädt die der „Gottesmutter an der Krippe“ (Nostra Senyora del Pessebre) gewidmete Kirche zur Meditation ein. Ihr Rundbogengewölbe ruht auf einem Mittelpfeiler, der einen Umfang von sieben Metern aufweist. Die Verbreitung der Gewölbe in der Architektur geht ebenfalls auf die frühe Romanik des 11. Jahrhunderts zurück. Dieses hier wurde über einer Holzverschalung errichtet, was Spuren im Kalkmörtel hinterließ. Der Bau der zwei Glockentürme zwischen 1010 und 1040, sowie ein „westlicher Pol“ aus zwei übereinander liegenden Kirchen vor der großen Kirche aus dem 10. Jahrhundert gehen auf Abt Oliba zurück.
Um die Pessebre-Krypta liegen gewölbte Räume aus derselben Epoche. Sie befinden sich unter dem Atrium, das die obere – heute zerstörte – Dreifaltigkeitskirche von der großen präromanischen St. Michaelskirche trennte.
Man gelangt über den Kreuzgang in diese Kirche. Es handelt sich um eine große, zwischen 956 und 974 unter den Äbten Pons und Garin erbaute Basilika. Ihr langes Mittelschiff und das imposante Querschiff eifern den großen Kirchen Rom’s nach. Der Chor enthält eine quadratische Apsis und zwei kleine, runde, gegen die Arme des Querschiffs geöffnete Nebenkapellen. Ursprünglich besaß die Kirche kein Deckengewölbe sondern eine Holzdecke.
Das Hauptmerkmal des Gebäudes sind die Hufeisenbögen, d.h. Bögen, deren Wölbung über den Halbkreis hinaus reicht. Diese Form ist besonders im Querschiff zu beobachten, denn die Arkaden des Mittelschiffs wurden bei der Modernisierung im 16. Jahrhundert erweitert. Die Hufeisenbögen stammen aus der späten Antike, deren Bautechniken sich mehr oder weniger bis
ins Zeitalter der Westgoten erhalten haben. Die arabisch-muslimische Zivilisation ließ sich ebenfalls davon inspirieren, weshalb man lange annahm, Saint-Michel de Cuxa sei eine von der muslimischen Kunst beeinflusste mozarabische Kirche gewesen. Aber als sie erbaut wurde, hatten die Araber die Gegend bereits seit zwei Jahrhunderten verlassen.
Beim Bau der großen Kirche wurden für die Ecken und die Pfeiler teils wieder verwendete riesige Quadersteine gebraucht und für die Mauern unbehauene, unregelmäßige Steine. Diese Bautechnik unterscheidet sich von jener der frühen Romanik aus dem 11. Jahrhundert, welche zwar unbehauene, jedoch bearbeitete, regelmäßige Steine einheitlicher Größe verwendete.
Die beiden Joche des Chors wurden im 14. Jahrhundert in der Folge einer Feuersbrunst mit Spitzbögen versehen. Das Dach des Mittelschiffs wurde nach 1950 erneuert.
Im 11. Jahrhundert erfuhr die große Kirche einige Veränderungen: Die Seitenschiffe wurden mit einem Gewölbe versehen, über dem äußeren Ende der beiden Querschiffarme wurden zwei Glockentürme errichtet (der nördliche stürzte 1838 ein) und um den quadratischen Chor ein Umgang mit drei neuen kleinen Nebenkapellen angebracht.
Wir verlassen nun die Kirche und begeben uns in den von 1949 bis 1955 wieder aufgebauten Kreuzgang mit Arkaden und Kapitellen, die sich in Prades oder im Besitz von Privatpersonen befanden. Der Kreuzgang bildete ursprünglich ein geschlossenes Viereck, um welches sich die Räume der Mönche verteilten: Speisesaal, Dormitorium, Kapitelsaal, usw. All diese Gebäude sind nach 1789 verschwunden. Der Kreuzgang wurde zweifellos im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts unter Abt Gregor erbaut. Er bedeutet das Wiederaufleben der romanischen Bildhauerkunst in der Gegend und steht für den Beginn der Verwendung von Marmor.
Die Ornamentik der Kapitelle überrascht durch das Fehlen erzählerischer Motive und menschlicher Darstellung. Sie bedient sich vornehmlich symbolischer Motive wie eines phantastischen Bestiariums mit Löwen, Affen, Monstern, und Pflanzenornamenten.
Beim Wiederaufbau des Kreuzgangs wurden auch Kapitelle integriert, die aus dem früheren Lettner stammen, der dazu diente, den für die Mönche vorgesehenen Raum abzugrenzen. Dieser Lettner war im 16. Jahrhundert abgebaut worden, aber einige Fragmente blieben erhalten und wurden in der Abtei wieder verwendet, bevor sie im 19. Jahrhundert endgültig in alle Winde zerstreut wurden. Man kann in der nordöstlichen Ecke des Kreuzgangs bildhaftere Motive erkennen, wie z.B. einen bärtigen Christus, Engel und Seraphen. Das jetzige Kirchportal ist ebenfalls ein Bogen des früheren Lettners, auf dem man den Markuslöwen (links), den Lukasstier (rechts) und das ganze dekorative Themenmaterial des 12. Jahrhunderts wiederfindet.